Auf Einladung des Lions Club Cuxhaven – Alte Liebe kam David McAllister (MdEP) als Gastredner zu einem Clubabend im Hotel Donners nach Cuxhaven. Die Clubmitglieder hatten damit die außergewöhnliche Gelegenheit, Informationen zum Brexit aus erster Hand zu erhalten. David McAllister ist im Europäischen Parlament als Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten besonders mit dem Thema Brexit beschäftigt. Seit Anfang 2020 hält McAllister darüber hinaus den Vorsitz in der UK Coordination Group, welche die Position des Europäischen Parlaments maßgeblich mitbestimmt und begleitet in dieser Position die laufenden Verhandlungen über die künftige Partnerschaft mit dem Vereinigten Königreich. Nach wie vor ist er eng mit unserer Region (Bad Bederkesa) verbunden und verbringt die wenige Zeit, die seine Ämter ihm lassen, gerne hier.
Die Komplexität des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union konnte man schon anhand der Medienberichte erahnen; als aber ein Politiker, der so im Zentrum des Geschehens steht, in anschaulicher Weise Details erläuterte, wurde deutlich, was man alles noch nicht wusste. Die chaotischen Unterhaussitzungen in London sind wohl weitverbreitet in Erinnerung, aber dass das Vereinigte Königreich bereits seit dem 1. Februar 2020 den Status eines Drittstaates der EU hat, ist vielleicht nicht allgemein bekannt. Das bisher zwischen beiden Seiten verhandelte Abkommen regelt bisher lediglich den bereits erfolgten, geordneten Austritt des Vereinigten Königreiches.
In der momentanen Übergangsphase geht es in den Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien nun um die Regelungen, wie eine künftige Partnerschaft ab dem 1. Januar 2021 gestaltet sein kann. Momentan gibt es allerdings noch große Differenzen bei den fairen Wettbewerbsbedingungen, der Fischereipolitik, der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit sowie bei den Governance-Fragen. Die Verhandlungspartner stehen dabei nicht nur wegen der COVID-19 Pandemie unter einem enormen Zeitdruck. Leider hat die britische Regierung den Termin für eine ein- oder zweijährige Fristverlängerung bewusst verstreichen lassen. Laut David McAllister müsse dem Europäischen Parlament damit bis Ende Oktober ein fertiger und unterschriftsreifer Text vorliegen, um genügend Zeit für eine sorgfältige Prüfung zu haben. Schließlich muss das Europäische Parlament dem angestrebten Partnerschafts- und Handelsabkommen zustimmen. Es müssen nachhaltige Lösungen gefunden werden, die die Integrität der EU, den Binnenmarkt und die Zollunion bewahren. Ohne eine gemeinsame Vereinbarung droht der harte Brexit, wonach die Beziehungen mit dem Vereinigten Königreich ab dem 1. Februar 2021 endgültig nur noch nach den Regeln der Welthandelsorganisation WTO gestaltet wären; die besonderen Regeln des EU-Binnenmarktes und der Zollunion gelten dann nicht mehr.
Die Aussichten für den Abschluss eines umfassenden Handelsabkommens sehe David McAllister völlig offen. Die EU ist nach wie vor an einer engen und maßgeschneiderten Partnerschaft mit dem Vereinigten Königreich interessiert. Die Frage der Grenze zwischen Irland und Nordirland ist allerdings immer noch ein besonderes Problem. Brüssel drängt darauf, dass das Austrittsabkommen mit dem Sonderstatus zu Nordirland vollständig von der britischen Regierung umgesetzt wird. Parallel werden Bürger und Betriebe auch für den möglichen Fall eines No-Deal-Brexit vorbereitet.
Als gebürtiger Brite sieht McAllister den Brexit als historischen schweren Fehler. Sogar ein Zerfall des Vereinigten Königreichs hielte er nicht mehr für ausgeschlossen; in Schottland stimmten fast zwei Drittel der Bevölkerung bei der Abstimmung im Jahr 2016 gegen den Brexit.
Der äußerst informative Abend ging mit einer Fragerunde und einer lebhaften Diskussion der Lions-Mitglieder zu Ende.